Predigt des Bischofs Dr. Bertram Meier am Aschermittwoch 2023

Beten und Fasten für den Frieden in der Ukraine

„Bitte wenden!“ Wir kennen diese Aufforderung, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind und das Navigationsgerät fast penetrant darauf hinweist, dass man in die falsche Richtung fährt. „Bitte wenden!“ Das ist auch das Motto für die österliche Bußzeit, die heute beginnt. Ich denke an den Ruf des Propheten Joel, den wir in der ersten Lesung hörten: „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen!“ (Joel 2,12) Im hebräischen Originaltext steht dabei ein Wort (šûb), das man aus heutiger Sicht tatsächlich mit einer 180 Grad-Wende übersetzen könnte. Joel will das Volk Gottes wachrütteln. Er warnt davor, dass die Menschen in Gefahr geraten, wenn sie nicht umkehren und einfach so weitermachen wie bisher. „Kehrt um“ meint eine innere Lebenswende, eine entschiedene Hinwendung zu Gott. Es geht nicht um irgendwelche Äußerlichkeiten, sondern um eine Bekehrung des Herzens und ein Hören auf das Wort Gottes, der uns gnädig ist (Joel 2,13), aber nicht automatisch die Sünden vergibt. (vgl. Joel 2,14). Am Anfang der Fastenzeit kann dieser Aufruf eine Art Stoppschild sein. Stopp, halt an und frage dich: Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Wohin gehe ich und was ist mein Ziel? Viele Menschen machen sich keine Gedanken darüber. Sie leben ihr Leben und gehen stets die Wege nach, die andere schon ausgetreten haben. Mitläufer und Nachläufer gibt es zuhauf. Ich lade Sie ein, nutzen wir die kommenden 40 Tage und fragen uns: Welchem „Navi“ folge ich in meinem Leben? Suche ich den Weg, den Gott mir persönlich zugedacht hat oder laufe ich der Meinung anderer hinterher? Spüre ich der eigenen Berufung nach oder reicht es mir, mit der Masse zu schwimmen? Einst schickte Gott Mahner wie den Propheten Joel, die uns vor falschen Abzweigungen wie der Selbstgefälligkeit oder Dekadenz warnten. Schließlich kam Gott selbst in Jesus Christus als Mensch auf die Erde, um uns mit Wort und Tat den rechten Weg zu weisen. Ein wichtiges Kennzeichen dafür ist die Gerechtigkeit. Im Evangelium listet Jesus drei Dinge auf, die einen gerechten Menschen auszeichnet: Almosen (1), heute würden wir eher Solidarität oder Wohltätigkeit sagen, Beten (2) und Fasten (3). Ich lade Sie ein, mit mir diese drei Elemente durch zu deklinieren.

1. Almosen

Zunächst sieht Jesus im Almosengeben ein Beispiel für gelebte Gerechtigkeit. Dazu muss man wissen, dass es damals keine sozialen Sicherungssysteme gab, wie heute in Deutschland. Die Spenden reicher Leute für die Armen waren daher von wesentlich größerer Bedeutung. Viele Mitglieder der Oberschicht sahen darin auch eine Chance, sich durch ihre Spenden lieb Kind zu machen und Ansehen bei den Mitbürgern zu gewinnen. So kam es vor, dass bei größeren Summen der Name des Spenders in der Synagoge laut verkündet wurde. Andere, die viel gaben, wurden öffentlich geehrt oder durften auf den besten Plätzen neben dem Rabbi sitzen. Kommt uns das nicht bekannt vor? 

Genau das kritisiert Jesus (vgl. Mt 6,1f). Wenn reiche Leute anderen etwas geben, sollen sie das aus Liebe zu ihren ärmeren Schwestern und Brüdern tun; nicht, um selbst im Rampenlicht zu stehen. Der himmlische Vater schaut auf das Herz; er weiß genau, ob jemand aus Fürsorge handelt oder weil er sich einen Vorteil erhofft. Hand aufs Herz! Nehmen wir wirklich Anteil am Schicksal der Armen in der Welt und geben aus Liebe etwas von unserem Wohlstand ab oder tun wir es nur, um unser Gewissen zu beruhigen? Achten wir vielleicht sogar heimlich darauf, dass andere unsere Spendenbereitschaft mitbekommen oder geben wir „im Verborgenen“ (Mt 6,4), wie es in der Bibel heißt, weil es uns einzig um die Liebe zum Nächsten geht und nicht darum, wie wir selbst groß herauskommen? 

Damit kein Missverständnis entsteht: Jesus kritisiert nicht das Spenden an sich, sondern die Heuchelei des Spenders. Anderen aus Solidarität etwas abgeben ist für ihn sogar Pflicht derjenigen, die es können. Angesichts der existentiellen Not vieler Menschen ist dieser Appell aktueller denn je. „Die Armut ist heute ein Schrei. Wir alle müssen darüber nachdenken, ob wir ein wenig ärmer werden können [zum Wohle anderer].“ Diesen Gedanken gibt Papst Franziskus uns für die Fastenzeit mit. Mehr noch, er ruft uns dazu auf, „Nein“ zu sagen zu einer Vergötterung des Geldes sowie zu ungerechten Wirtschaftssystemen, wo der Wohlstand weniger immer größer wird, während viele trotz fleißiger Arbeit kaum das Existenzminimum erreichen. Geld ist dazu da, den Menschen zu dienen und nicht, um sie zu regieren oder zu kontrollieren. Damit sind wir bei der  Frage, was die Mitte unseres Lebens ausmacht.

2. Beten

Vom Evangelisten Matthäus bewusst zwischen Almosen und Fasten gesetzt, stellt Jesus in die Mitte das Beten. Das mag manche überraschen, doch schon der Prophet Joel verband mit seiner Botschaft „Kehrt um“ den Aufruf zu Gebet und Gottesdienst. Im Gebet sind wir ganz mit Gott verbunden, halten ihm unser Leben hin, unsere Freuden und Hoffnungen, aber auch unsere Verwundungen. Wenn Jesus bestimmte Beter kritisiert, dann nicht, weil sie beten, sondern weil ihr Herz irgendwo, nur nicht bei Gott ist (vgl. Mt 6,5). Offensichtlich gab es damals Leute, die sich auf der Straße zu Boden warfen und lautstark beteten. Dabei konnte der Eindruck entstehen, diese Leute beteten nicht so sehr zu Gott, sondern machten Menschen zu Adressaten ihres Betens. Sie wollten auffallen als besonders fromm: Bigotterie würden wir heute sagen. Sie gibt es leider nach wie vor in der Kirche. Mit den steigenden Austrittszahlen steigt die Gefahr, dass bestimmte Gruppierungen von Gläubigen sich innerhalb der schwindenden Volkskirche sozusagen als „heiliger Rest“ fühlen und anderen Menschen, die vielleicht Dinge in Frage stellen, pauschal das Katholisch-Sein absprechen. Umgekehrt kann das auch für besonders reformeifrige Gläubige gelten, die meinen, in der alleinigen Umwandlung von kirchlichen Strukturen die Zeichen der Zeit zu erkennen, während sie andere kritisieren, die sich nach mehr Spiritualität und geistlicher Erneuerung sehnen. So oder so: Hüten wir uns davor, das Gebet zum Schauplatz persönlicher Interessen zu machen! 

3. Fasten

Schließlich redet Jesus vom Fasten. Auch hier geht es nicht um Äußerlichkeiten, schon gar nicht um Schönheitsideale, sondern um das religiöse Motiv, das dem Fasten zugrunde liegt. Für mich ist Fasten eine Art „Frühjahrsputz für Leib und Seele“. Unabhängig von der Tatsache, dass es uns körperlich guttäte, weniger zu essen und sich mehr zu bewegen, bietet die Fastenzeit eine Gelegenheit, auch den Alltag zu „entschlacken“. Wo haben sich Gewohnheiten eingeschlichen, von denen ich weiß, dass sie nicht gut für mich sind? Das Hetzen von einem zum anderen Termin, das Nicht-Loslassenkönnen, das ewige Nörgeln oder Besserwissen… Jetzt ist die Chance, uns die eigenen Schlagseiten und Abhängigkeiten bewusst zu machen. Wenn uns das gelingt, werden wir echte Freude empfinden. Natürlich kann der Verzicht anfangs schwer sein und auch Unzufriedenheit mit sich bringen. Auch Entzugserscheinungen kann es geben. Doch viele Menschen können bezeugen, wie viel Energie und Lebensfreude entsteht, wenn wir es schaffen, mit weniger auszukommen und leichter zu werden.  

„Bitte wenden!“ Wir haben es selbst in der Hand, welche Richtung wir unserem Leben geben, und wir alle haben uns garantiert schon mehrfach „verfahren“. Heute Nachmittag werden wir das neue Hungertuch des kirchlichen Hilfswerks MISEREOR sehen. Als Motiv wählte der Künstler Emeka Udemba aus Nigeria ein Szenario, das auf den ersten Blick auch bedrohlich wirken kann: Es zeigt eine zerrissene Welt, verwundet und gefährdet durch die Klimakrise, durch Kriege und Hunger. Als Geschenk Gottes in die Hände der Menschen gelegt, scheint sie uns zu entgleiten; so stellt sich erneut die Frage: Haben wir die Kraft umzukehren, um das zu verhindern? Wie können wir alle einen Beitrag leisten, damit unsere Welt heil bleibt und nicht umkippt? Wir brauchen Menschen, die neue Wege gehen, die Verantwortung für sich selbst und für die Schöpfung übernehmen. Gott will uns dabei helfen. Immer streckt er uns in Jesus die Hand entgegen und ermutigt uns, IHM zu folgen, der uns in eine segensreiche Zukunft geleiten will. Lassen wir uns von ihm führen! 

Ein Appell für die „arme, geplagte Ukraine“

Herr, bringe die Politiker, die für den Angriffskrieg in der Ukraine verantwortlich sind, zur Einsicht! Zeige Wege auf, die von den Kriegsschauplätzen zu Verhandlungstischen führen. Übermorgen ist ein trauriger Gedenktag. Am Freitag wird es ein Jahr, dass russische Truppen ihr Nachbarland überfallen haben. Der Krieg geht nun ins zweite Jahr. Arme geplagte Ukraine! Herr, erbarme dich dieses gepeinigten Landes! Sei denen nahe, die unter den Folgen des Krieges leiden, die unschuldig ihr Leben lassen. Nützen wir den kommenden Freitag für Gebet und Fasten in den Anliegen der Menschen in der Ukraine und in den vielen Krisenherden der Welt! Das Beten des Kreuzwegs oder des Rosenkranzes sowie das Fasten für den Frieden lege ich uns heute für Freitag ans Herz. Und bleiben wir solidarisch mit den Flüchtlingen im Land! Sie brauchen unsere Hilfe. Gott schaut in unser Herz. Es ist nichts umsonst.

Versöhnen wir uns mit Gott und untereinander! Dann, ja dann wird Wirklichkeit, was Paulus verspricht: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag des Heils.“ (2 Kor 6,2)

(Texte vom Tag: Joel 2,12-18; 2 Kor 5,20-6,2; Mt 6,1-6.16-18)

23.02.2023 - Bistum Augsburg , Predigt